Auffahrunfall: Und wer hat nun Schuld?

Jul 17, 2024

Auf deutschen Straßen knallt es täglich und das nicht selten mit dramatischen Folgen. Laut dem Statistischen Bundesamt (Destatis) starben 2023 knapp 3.000 Menschen bei Verkehrsunfällen im Straßenverkehr.

Zum Glück endet nicht jeder Unfall tödlich. Ärgerlich ist es aber dennoch und dies gilt vordergründig für Auffahrunfälle, die im Alltag schneller passieren, als man es sich wünschen würde.

Ein lauter Knall und ein Rucken im Fahrzeug – jedem ist eigentlich direkt bewusst, dass ein anderes Fahrzeug dem eigenen hinten aufgefahren ist. Ist der Schock dann erst einmal überwunden, geht es darum, den Schaden zu analysieren und diesen schnellstmöglich beheben zu lassen. Denn leider gehen Auffahrunfälle nicht immer glimpflich aus, aber vor allem lässt sich nicht immer die Schuldfrage eindeutig klären.

Auffahrunfall: Der Klassiker und seine vielen Gesichter

Ein Auffahrunfall beschreibt die Kollision von zwei Fahrzeugen – in den meisten Fällen durch Unachtsamkeit. In Folge prallt das hintere Fahrzeug gegen das Heck des Vorausfahrenden. Der am vorderen Fahrzeug entstehende Heckschaden ist nicht selten mit einem Totalschaden gleichzusetzen, da sich bei hoher Aufprallgeschwindigkeit der Rahmen verzieht. Ein Frontschaden lässt sich hingegen bei dem auffahrenden Fahrzeug finden.

Die gängige Floskel, dass der Auffahrende Schuld am Unfall hat, ist jedoch nicht immer richtig. Hierbei handelt es sich lediglich um einen Anscheinsbeweis. Demnach wird in der Regel zunächst vermutet, dass der Auffahrende nicht genügend Abstand gehalten hat, zu schnell fuhr oder abgelenkt war, sodass es zu dem Unfall kam. Allerdings lässt sich dieser Anscheinsbeweis ziemlich schnell entkräften, sofern der Auffahrende Beweise vorbringen kann, sodass der Vordermann eine Teil- und vielleicht sogar Hauptschuld an dem Unfall trägt. Denn auf der Suche nach dem Schuldigen, gilt es die verschiedenen Umstände zu berücksichtigen bzw. aus welchem Grund es zu einem Auffahrunfall kam.

Der Auffahrunfall und das stehende Fahrzeug

Bei einem stehenden Fahrzeug, das in einen Auffahrunfall involviert wurde, muss zunächst einmal der Sachverhalt geklärt werden, warum dieses stand. Stand das Fahrzeug also unfreiwillig, beispielsweise aufgrund eines Defekts oder freiwillig, weil es dort abgestellt wurde. Beim Letzteren gilt es zudem zu beachten, ob das Fahrzeug eine Gefahrensituation aufgrund der Beeinträchtigung im Straßenverkehr darstellte. Wird ein Fahrzeug beispielsweise in einer Kurve freiwillig abgestellt, trägt dieser Fahrzeughalter eine Mitschuld. Je nach Standort und aufgrund einer höheren Betriebsgefahr ist die Schuldfrage also nicht immer eindeutig vor Ort zu klären. Bei einem Defekt, sprich einem unfreiwillig stehenden Fahrzeug, trägt oft der Auffahrende die Alleinhaftung.

Nach dem Spurwechsel

Kommt es nach einem Spurwechsel zu einem Auffahrunfall, kann der Vordermann die komplette Schuld tragen, sofern dieser nach dem Einscheren nicht auf genügend Abstand achtet.

Die unerwartete Vollbremsung

Eine Mitschuld beim Vordermann ist mehr als wahrscheinlich, sofern dieser ohne ersichtlichen Grund plötzlich stark abbremst. Allerdings ist in diesem Fall ebenso zu berücksichtigen, ob der Hintermann bereits vor dem Unfall den ausreichenden Sicherheitsabstand eingehalten hat.

Abwürgen des Motors

Jeder Autofahrer kennt es und den meisten ist es mindestens schon einmal im Laufe der Autofahrerkarriere passiert: Der Motor wird beim Anfahren an der Ampel etc. abgewürgt. Mit einem derartigen Verhalten des Vordermanns müssen alle Verkehrsbeteiligten rechnen. Wer einem Fahrzeug auffährt, dessen Motor abgewürgt wurde, trägt in den meisten Fällen die Hauptschuld. Das gilt insbesondere, sofern ein Fahrschulwagen in den Unfall verwickelt wurde.

Tiere auf der Fahrbahn

Auch wenn es nicht sonderlich schön ist, aber kleine Tiere auf der Fahrbahn sind kein Grund, um stark abzubremsen. Wer es dennoch tut und auf diese Weise einen Auffahrunfall provoziert, trägt eine Mitschuld. Bei größeren Tieren wie Wild oder Hunden sieht die Sache jedoch ein wenig anders aus. Denn die Kollision mit einem großen Tier kann für jeden Autofahrer weitreichende Folgen haben.

In der Waschstraße

Es kommt viel häufiger vor als man meinen mag – Auffahrunfälle in der Waschstraße. Was viele nicht wissen: In einer Waschstraße darf nicht gebremst werden. Klingt komisch, wurde aber vom OLG Zweibrücken im Jahr bestätigt (Aktenzeichen: 1 U 63/19). Bremst ein Autofahrer dennoch in der Waschstraße und kommt es in Folge zu einem Auffahrunfall, trägt der Fahrzeughalter, der gebremst hat, die Hauptschuld.

Das richtige Verhalten nach einem Auffahrunfall

Der Schock nach einem Unfall sitzt tief, dennoch gilt es möglichst schnell wieder einen kühlen Kopf zu bekommen, um entsprechend handeln zu können. Nach jedem Auffahrunfall muss die Unfallstelle mithilfe von Warndreieck und Warnblinklicht gesichert werden. Anschließend bringen sich alle Unfallbeteiligten in Sicherheit. Sofern es Verletzte gibt, werden Krankenwagen und Polizei gerufen. Alle Unfallbeteiligten sind zudem verpflichtet, Erste Hilfe zu leisten.

Sind die Verletzten versorgt, muss der Unfallhergang dokumentiert werden. Alle Beweise sollten gesichert werden. Sprich, es müssen Fotos angefertigt und der Unfallbericht ausgefüllt werden. Zudem sollten die Daten mit dem Unfallgegner ausgetauscht werden.
Wer keine Schuld am Unfall trägt, hat die Möglichkeit, oberhalb der Bagatellgrenze (Reparaturkosten nicht mehr als 750 EUR) ein Unfallgutachten bei einem Sachverständigen in Auftrag zu geben.

Grundsätzlich ist es auch nach einem Auffahrunfall immer sinnvoll einen Sachverständigen zu kontaktieren, damit dieser den entstandenen Schaden genau bewerten kann. Oftmals ist es leider der Fall, dass oberflächlich kein oder nur ein geringer Schaden zu erkennen ist. Unter der Verkleidung kann sich jedoch ein viel größeres Schadensausmaß verstecken. So lässt sich beispielsweise auch von einem Laien ein Fahrzeugrahmen, der nur wenige Millimeter verzogen ist, mit dem bloßen Auge nicht erkennen. Dieser verzogene Rahmen kann aber weitreichende Konsequenzen für den Wert des Fahrzeugs haben.

Alles in allem sind Auffahrunfälle immer eine belastende, aber auch nicht immer eindeutige Angelegenheit. Neben dem entstandenen Schaden ist es insbesondere wichtig, die Schuldfrage eindeutig zu klären bzw. diese klären zu lassen – beispielsweise durch die Polizei. Unfallopfer sollten deshalb auch stets von ihrem Recht Gebrauch machen und einen Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragen. So lassen sich die Kosten für eine mögliche Reparatur schnell beziffern, sodass mögliche Probleme mit der gegnerischen Versicherung behoben werden können oder gar nicht erst auftreten. Ferner kann ein Sachverständiger als kompetenter Partner an der Seite stehen, um die Schadensregulierung schnellstmöglich in die Wege zu leiten.

© Alexander Fertig | KFZ-Sachverständigenbüro Fertig GmbH