Wirtschaftlicher Totalschaden und keine Aussicht auf Reparatur?

Jul 17, 2024

Der Bruchteil einer Sekunde kann manchmal alles verändern – auch bei einem Unfall. Durch den heftigen Aufprall, der im gesamten Fahrzeug zu spüren ist, wird schnell klar, dass der Schaden am Auto ein höheres Ausmaß erreicht hat.

Totalschaden! Und selbst der anschließende Blick auf den entstandenen Schaden lässt keinen Zweifel mehr daran, dass es sich womöglich um einen Totalschaden handeln kann. Aber wann ist ein wirtschaftlicher Totalschaden eigentlich ein wirtschaftlicher Totalschaden und bedeutet dies tatsächlich, dass das Fahrzeug nicht mehr zu retten ist?

Der wirtschaftliche Totalschaden einfach erklärt

Sachverständige oder auch Versicherungen verwenden gern den Begriff »wirtschaftlicher Totalschaden«. Für Laien ist aber oftmals nicht ganz klar, wann dieser wirklich eingetreten ist. Grundsätzlich gilt deshalb: Sofern die Reparaturkosten, die benötigt werden, um das Fahrzeug wieder verkehrstüchtig zu machen, den Wiederbeschaffungswert um mehr als 130 Prozent übersteigen, wird von einem wirtschaftlichen Totalschaden gesprochen.
Der Sachverständige, der das benötigte Gutachten in diesem Fall also erstellt, geht dementsprechend davon aus, dass die Reparatur dann nicht mehr lohnenswert ist. Dementsprechend bleibt dem Fahrzeughalter in der Regel keine andere Möglichkeit als den Schaden mit der gegnerischen Haftpflichtversicherung oder der eigenen Vollkaskoversicherung auf der Totalschadenbasis abzurechnen.

Reparatur trotz eines wirtschaftlichen Totalschadens?

Unter gewissen Umständen kann, trotz der 130-Prozent-Regel eine Reparatur bei einem wirtschaftlichen Totalschaden möglich sein. Allerdings gilt dies nur, sofern der Fahrzeughalter ein besonderes Integritätsinteresse nachweisen kann und die Reparaturkosten nicht mehr als 130 Prozent des Wiederbeschaffungswertes betragen. Zum besseren Verständnis ein kleines Beispiel:

Herr Müller wurde in einen Unfall verwickelt, den er nicht verschuldet hat. Er sucht schnellstmöglich einen Sachverständigen auf und lässt sich von diesem ein Gutachten erstellen. Nach genauer Überprüfung kommt der Sachverständige zu folgendem Urteil: Die Reparaturkosten würden bei rund 6.000 EUR liegen. Der Wiederbeschaffungswert für den Wagen von Herrn Müller liegt aber nur bei 5.000 EUR. Laut dem Gutachten hat das Fahrzeug zudem einen Restwert von 2.000 EUR.

Aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen wird deutlich, dass die Reparaturkosten über dem Wiederbeschaffungswert liegen, aber immer noch innerhalb der 130 Prozent. Aufgrund der 130-Prozent-Regel dürften die Reparaturkosten nicht mehr als 6.500 EUR (dies wären die 130 Prozent des Wiederbeschaffungswertes) betragen. Alles, was über dem Betrag von 6.500 EUR liegt, wäre aus Sicht der Versicherer unverhältnismäßig und würde demnach auch nicht erstattet werden.

Neben der Höhe der Reparaturkosten, die in einem angemessenen Verhältnis zum Wiederbeschaffungswert stehen müssen, gilt es jedoch noch weitere Voraussetzungen zu beachten, damit ein Fahrzeug bei einem wirtschaftlichen Totalschaden repariert werden kann. So muss das Fahrzeug beispielsweise nach der Reparatur noch für weitere sechs Monate gefahren werden bzw. versichert sein. Zusätzlich muss das Fahrzeug vollständig und fachmännisch, entsprechend dem Gutachten, wiederhergestellt werden. Und zu guter Letzt muss der Halter des Fahrzeuges ein besonderes Interesse daran haben, dass sein Fahrzeug wieder repariert wird (Integritätsinteresse).

Wirtschaftlicher Totalschaden: Alternative zur Reparatur

Kleine Schäden an einem Fahrzeug nach einem Unfall lassen sich in der Regel schneller beheben als bei einem wirtschaftlichen Totalschaden. Wird dieser durch das Gutachten eines Sachverständigen bestätigt, bleibt neben der möglichen Reparatur nur noch die Abrechnung auf Totalschadenbasis. Fahrzeughalter, die keine Schuld am Unfall tragen, würden von der gegnerischen Versicherung die Differenz aus dem Wiederbeschaffungswert und dem Restwert erstattet bekommen.

Wer selbst die Schuld an dem Unfall trägt, muss sich mit seiner Kaskoversicherung in Verbindung setzen. Allerdings spielt in diesem Fall der vorhandene Versicherungsschutz eine elementare Rolle. Bei einem wirtschaftlichen Totalschaden reichen die Haftpflicht- und die Teilkaskoversicherung nicht aus. Denn nur die Vollkaskoversicherung kommt im Falle eines wirtschaftlichen Totalschadens für die Folgen auf.

Wirtschaftlicher Totalschaden nicht ohne Sachverständigen!

Die Erkenntnis, dass das eigene Fahrzeug in einen Unfall verwickelt und daraus der wirtschaftliche Totalschaden resultiert, ist schon erschreckend genug. Deshalb sollte im Nachgang auf professionelle Hilfe zurückgegriffen werden, um sich noch mehr Ärger mit dem Unfallgegner und dessen Versicherung zu ersparen.

Fahrzeughalter, die unverschuldet in den Unfall geraten sind und dementsprechend auch keine Schuld daran tragen, dass das eigene Auto nun ein wirtschaftlicher Totalschaden ist, müssen die Kosten für die Erstellung des Gutachtens nicht selbst tragen – diese werden von der gegnerischen Versicherung übernommen.

Das Gutachten nach einem wirtschaftlichen Totalschaden ist jedoch wichtig, um die etwaigen Ansprüche gegenüber der gegnerischen Versicherung geltend zu machen. Und dabei kommt es primär auf den Restwert an. Oftmals wird angenommen, dass zur Ermittlung des Restwertes lediglich ein Blick in die Schwacke-Liste ausreicht. In dieser lassen sich die zustandsneutralen Restwerte von gebrauchten Kraftfahrzeugen finden – abhängig vom Fahrzeugtyp, Baujahr etc. Allerdings reicht diese Liste für einen korrekten Restwert oftmals nicht aus. Vielmehr müssen alle vorhandenen Umstände berücksichtigt werden, die den Restwert sowie den Wiederbeschaffungswert beeinflussen. Neben dem Zustand und Zeitwert muss im Bereich der Berechnung der Wiederbeschaffungskosten auch der benötigte Aufwand berücksichtigt werden.

Es sind oftmals die kleinen, aber feinen Details, die auch in einem Gutachten zum wirtschaftlichen Totalschaden das Zünglein an der Waage sein können. Deshalb ist es stets von Vorteil, einen Sachverständigen mit dem Erstellen eines derartigen Gutachtens zu beauftragen.

Darf das Auto nach einem wirtschaftlichen Totalschaden verkauft werden?

Mit dieser Frage haben sich bereits zahlreiche Gerichte in Deutschland beschäftigt. Und das BGH-Urteil aus dem Jahr 1992 bringt ein wenig Licht ins Dunkel. Grundsätzlich können die Geschädigten nach der Schadensabwicklung den Unfallwagen verkaufen. Allerdings nur zu dem Restwert, der laut Gutachten verlangt werden darf. Zudem darf das Fahrzeug auch nur auf dem regionalen Gebrauchtwagenmarkt verkauft werden. Laut dem Urteil des BGH muss ein Übererlös allerdings angerechnet werden. Sprich, die gegnerische Versicherung muss nicht die komplette Schadenssumme begleichen.

Zu beachten ist allerdings noch, dass beim Verkauf eines Fahrzeuges mit einem wirtschaftlichen Totalschaden der Unfallschaden (wie auch bei allen anderen Unfallwagen) nicht verschwiegen werden darf. Alle Mängel müssen offengelegt werden, während das Fahrzeug zudem als Unfallwagen deutlich gekennzeichnet wird. Nur auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass der Verkauf anschließend auch rechtskonform erfolgt und keine negativen Nachteile zu erwarten sind.

Ein wirtschaftlicher Totalschaden bedeutet also nicht immer, dass das Fahrzeug nicht mehr repariert werden kann. Allerdings sollte in solch einem Fall genau überlegt werden, ob eine derartige Reparatur tatsächlich sinnvoll ist. Bei Unsicherheit und Fragen steht ein Sachverständiger seinen Kunden aber auch in diesem Fall tatkräftig zur Seite.

© Alexander Fertig | KFZ-Sachverständigenbüro Fertig GmbH